Wie so oft befürworte ich die Vielfalt von Gedanken und Systemen. Ich hab halt lieber eine Kiste mit unterschiedlichen Werkzeugen für jeden Bedarf als nur einen einzigen Schraubenzieher:


1) Auf der einen Seite finde ich Privateigentum an Produktionsmitteln richtig, weil ich Monopole auch dann nicht mag, wenn sie "Staat" heissen. Und ich finde es richtig, dass der Markt vieles regelt, weil ich das für eine sehr demokratische Entscheidungsfindung halte. Insofern mag ich also den Kapitalismus!


2) Auf der anderen Seite mag ich Gemeinschaftseigentum, Genossenschaften, Stiftungen, staatliche Strukturen, weil ich auch beim Eigentum die Vielfalt der Prinzipien liebe. Und ich finde es richtig, dass der Markt durch gesellschaftliche Eingriffe und nicht-marktwirtschaftliche Alternativen ergänzt wird, denn auch die Marktwirtschaft allein deckt nicht alle Aspekte ab.


Wenn es zwei Sachen zur Auswahl gibt, dann denken wir zu schnell darüber nach, welche wir wählen sollen. Doch wenn man davor erst einmal den Gedanken zulässt, ob nicht beides möglich ist, dann lässt sich so manches Gegeneinander verhindert.


Vielleicht auch in der Politik. Vielleicht reicht ein Denkmodell ja nicht, um uns ein schönes Leben zu garantieren, vielleicht geht es z.B. gar nicht darum, ob Kapitalismus ODER Sozialismus erstrebenswert ist, vielleicht sollten wir eher darüber nachdenken, welche Mischung von beidem unsere Wünsche am besten erfüllt.


Und vielleicht liegen viele Probleme darin, dass Politiker oft nur das eine oder nur das andere propagieren. Es ist zu verlockend, nur einem Gedanken ein Monopol im eigenen Kopf einzuräumen.


Ich mag auch in diesem Aspekt Vielfalt. Ich glaube, dass die verschiedenen Denkmodelle / politischen Ausrichtungen verschiedene Aspekte des Lebens betonen, und dass wir eine geschickte Kombination suchen sollten. Deshalb liebe ich Touren und Projekte mit "Linken" z.B. auf dem unglaublichen Unkraut-Floß in Berlin, aber lese auch "Ayn Rand", halte den Kapitalismus für eine ziemlich gute Komponente unseres Lebens und mag Karl Poppers Gedanken sehr.


Doch wenn es nur eine Denkrichtung gäbe, die alles abdeckt, dann wäre ja die "Weltformel" schon gefunden. Daran glaube ich nicht, auch deshalb liebe ich Vielfalt. Auch im Denken.


(Reinhard Wiesemann, Gründer des Essener Unperfekthauses)

Das Essener Unperfekthaus ist ein Zentrum für freies Denken (mehr…). Weit über 1000 kreative Zeitgenossen aus 35 Ländern können hier solange ihren selbst gewählten Themen nachgehen, wie sie nicht befürchten müssen, psychisch, sozial oder physisch verletzt zu werden. Doch genau das ist gefährdet, weil manche Menschen sich ihrer Meinung so sicher sind, dass sie Grenzen überschreiten und andere verletzen.


Immer mehr Menschen verletzen Andersdenkende, obwohl das Nebeneinander verschiedener Denkmodelle Grundlage aller Wissenschaften ist:


  • Man darf wissenschaftliche Ergebnisse und selbst den Klimawandel in Zweifel ziehen, in Flüchtlingsströmen Gefahr oder Chance sehen, rechten oder linken Meinungen anhängen,…


Selbst die Religionen rufen ihre Anhänger dazu auf, niemals zu glauben, genauso sicher wie Gott zu wissen, was richtig und was falsch ist:


  • Deshalb wurden Adam und Eva aus dem Paradies geworfen,
  • deshalb bekennt jeder Moslem im Gebet, dass Allah größer ist als er selbst, und
  • deshalb lesen Juden in vielen Synagogen „wisse, vor wem Du stehst“.


Es sollte tabu sein, Menschen wegen ihrer Meinung zu bestrafen, zu hassen, oder irgendwie in ihrem Menschsein anzugreifen. Wer Andersdenkende mit Worten, Bildern oder sonstwie als Mensch lächerlich macht, sollte genauso kritisiert werden wie derjenige, der andere mit Fäusten verletzt. Wir möchten dazu beitragen, dass Gräben in der Gesellschaft überwunden werden, dass sich jede(r) traut, über seine Meinung zu diskutieren, und dass es uncool wird, Andersdenkende in irgendeiner Weise psychisch, physisch oder sozial zu verletzen. Argumente sind ok, aber Hass und Angriffe auf die Person als Ganzes sollten tabu werden:


  • „Da hast Du aber eine sehr falsche und gefährliche Meinung, weil…“ ist ok, weil es die Person stehen lässt und nur die Meinung kritisiert
  • „Du bist dumm und gefährlich“ ist nicht ok, weil es die Person als Ganzes verletzt
  • „Ich werde dafür sorgen, dass niemand mehr mit Dir redet“ ist nicht ok, weil es die Person sozial verletzt.


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